Besinnliche Wintergratweitwanderung – Kuchler Kamm
veröffentlicht am 26. Dezember 2010 von
Die Vorgeschichte
Wie alles im Leben begann auch diese Tour im Kopf. Vor den Augen in den Sinn war die Devise, als sich bei der Skitour auf das Rossfeld der Kuchler – Kamm das erste Mal in voller Größe vor mir erstreckte. Mein Blick wanderte vom ganz links liegenden Gipfel (der Kleine Göll) nach rechts über unzählige nicht enden wollende Auf und Abs, bis der Grat gerade noch im Bewegungsspielraum meiner Halswirbelsäule am Hohen Göll ein Ende fand. Ein neues Projekt war geboren.
Die anfänglich gedachte erste Schwierigkeit grundsätzlich auf den Grat zu kommen, löste sich mit einem Blick in die Karte schnell auf. Jetzt hieß es nur noch einen Brief ans Christkind zu schicken. Die Skitour am 24igsten auf den Hohen Göll war ernüchternd; knietiefer Sulz und frühlingshafte Temperaturen. Zählte man jedoch Sulz + kommende Kaltfront zusammen ergab sich eine göttliche Kombination; ein tragfähiger Harschdeckel der Speed und Lawinensicherheit versprach.
Da Felix an jenem Abend unerwartet erfahren hatte, am nächsten Tag nicht Skilehrern zu müssen und da das Wetter für den nächsten Tag mehr oder weniger gut angesagt war, stand schnell ein Plan für den nächsten Tag.
Ziel Hoher Göll über den Kuchler – Kamm. Nach einem kurzen materialtechnischen Hin und Her, ob mit oder ohne Ski, entschieden wir uns ohne Ski aufzubrechen, was sich als sehr kluge Entscheidung herausstellte. Also alles packen und kurz ins Bett gelegt.
Die Umsetzung
Um 2.30 läutete der Wecker, das Leben kann manchmal schon hart zu einem sein, aber was soll man tun?
Lustlos und schlafverstrahlt steckten wir uns einiges essbares in den Mund, setzten uns ins Auto und fuhren Richtung Gollinger Wasserfall. Die prognostizierten 5-10cm Neuschnee über Nacht stellten sich am Parkplatz angekommen als eher 30-40 cm heraus. Naja erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Mit einer guten Ausrede für ein Misslingen im Gepäck, starteten wir gleich um einiges entspannter mit der Hirnbirn in den dunklen Wald.
Aufstieg
Die Schneedecke wurde mit jedem aufgestiegenen Höhenmeter stabiler und der Neuschnee war so leicht und luftig, das er nicht ins “Gewicht” viel. Den glitzernd märchenhaften Winterwald stapften wir in nächtlicher Stille empor. Beim Stapfen durch den fast knietiefen lockeren Pulver wünschten wir uns sehnsüchtig Ski herbei, wir wussten jedoch das wir diese Hänge, wenn alles klappt, ohnedies nicht mehr sehen werden…das Leben war schon wieder hart zu uns. Am ersten Gipfel angekommen, erwachte gerade die Winterwelt der Berge in unglaublich schönen stimmungsvollen Farben…das Leben kann auch verdammt gut zu einem sein.
Der sich uns vom Gipfel bietende Ausblick auf den nicht enden wollenden Grat lies uns diese Stimmung nur kurz genießen und trieb weiter. Vor uns lag ein eingeschneites Latschenplateau, welches einem Minenfeld glich. Bei jedem Schritt wusste man nicht was passiert. Riss es einem das Bein in die Tiefe oder trug die Schneedecke? Schlussendlich überwanden wir das Latschenplateau mit allen Gliedmaßen, jedoch mit etwas erhöhtem Krafteinsatz durch die Herauswindereien.
Grat
Der Weiterweg am Grat war von unglaublicher Aussicht und Ruhe geprägt. Es ging flott dahin, schwierigere Stellen gingen wir am laufenden Seil oder seilten ab. Der größte Teil der Strecke war Stapferei mit der Möglichkeit dadurch die Umgebung wahrzunehmen; Gämse in den abartigsten Steilhängen im Morgenlicht queren zu sehen, die Sonne im Wettstreit mit den Wolken zu beobachten oder das glitzern des Neuschnees zu bewundern. Die morgendliche Idylle schwächte sich zum Gipfel hin zunehmend durch auffrischenden Wind, bedeckter werdender Sonne und die damit resultierende Kälte ab. Es wehte bis zum Gipfel hin ein schon recht unangenehmer barscher Wind, der einem den lockeren Schnee ins Gesicht peitschte. Mit immer müder werdenden Beinen stapften wir die letzten Meter, vorbei mit ehrfürchtigem Blick in die Einfahrt der Ostwand, hinauf zum Gipfel. Die Sonne ging im gleichen Moment unter, es war genau 16 Uhr. Es wurde jedoch noch beträchtlich später bis wir wirklich oben/unten ankamen. In Vorahnung fiel die Gipfelrast dementsprechend kurz aus, auch die Seniererei über die schöne Lichtstimmung am Himmel ersparten wir uns.
Abstiegsmatyrium
Jetzt hieß es, bevor es stockdunkel wird, Gas geben und soviel Meter Richtung Purtschellahaus machen wie geht. Am oberen Grat ging es noch recht flott dahin. An der Kreuzung Mannlgrat – Schustersteig angekommen, wurde mir beim Blick hinunter in die überwächtete Steilflanke mulmig im Magen. Das soll der Schustersteig sein, eine 60-70° steile Flanke?
Der Abstieg war mir, im wahrsten Sinne des Wortes, nur neblig von einer Bergtour vor 5 Jahren in Erinnerung, so steil auf alle Fälle nicht. Kurz unsere Alternativen durchgedacht; Mannlgrat lang und vor allem ganz woanders hin, Skitourenroute hinunter würde den gesamten Gipfelhang zurück auf den Gipfel bedeuten und dann ewig flach runter, schon bei der Überlegung streikten meine Beine. Also Schustersteig hinunter. Es wurde langsam stockdunkel, also Stirnlampe auf und Augen zu. Den steilen eingeblasenen Grathang mit darunter liegenden Felsabbruch hinunter zu klettern war nicht in unserem Sinn. Wir gruben einen Toten Mann und ich lies Felix zum Gelände erkunden ab. Er entdeckte ein Stück Drahtseil des Klettersteigs, perfekt, ich seilte mich nach.
Wir seilten uns teils über die verschneiten Drahtseile ab, wo sie nicht freizubekommen waren oder kletterten sie ab. Den ersten Aufschwung hatten wir überwunden, Erleichterung machte sich breit. Der Weiterweg blieb jedoch bis zuletzt spannend, immer wieder verloren wir den Weg, rutschen steile Rinnen hinunter und seilten an Köpfl ab. Nur mit dem Licht von 100 Lumen der Stirnlampe und ohne Markierungen war die Wegfindung extrem abenteuerlich. Mittlerweile war es 19uhr, dunkel, windig und arschkalt. Als wir wieder einmal den Weg verloren hatten und irgendwo im Nirgendwo standen, beschlossen wir nach 15 h Stapferei Pause hinter einem Stein zu machen. Wir überlegten ernsthaft es für heute bleiben zu lassen und lieber morgen weiterzugehen. Kochzeug und Biwaksack war dabei, was für Entspannung sorgte. Es war einfach unerwartet viel Schnee und die Hangbeurteilung in der Dunkelheit kaum möglich, die Orientierung wäre bei Tageslicht ebenfalls um einiges leichter und sicherer. Ich weiß nicht was uns in dem Moment dazu bewegte weiter zugehen, vielleicht der Anblick der eingefrorenen Trinkflasche und des eingefrorenen Griesbreis, der bei uns die Vorahnung einer eisigen Nacht hervorrief.
Mit Intuition, individueller Wegwahl und vor allem viel Glück schafften wir es bis zum Purtschellahaus und setzten bei Rudi einen „Notruf“ ab. Geplant wäre der Abstieg retour zum Auto nach Golling gewesen, dazu hatten wir zu dem Zeitpunkt jedoch keine Lust und vor allem keine Kraft mehr. Hinauf zu Rossfeldstraße geschleppt kam im gleichen Moment Rudi mit einem geheizten Auto angefahren. Ein Held, für das ihm eine Ehrenmedaille für besondere Verdienste an der Menschheit zusteht, ich werd mich dafür einsetzen. Laut seriöser Augenzeugenaussaugen schauten Felix und ich zu diesem Zeitpunkt ich zitiere “ziemlich banane“ aus…wir waren’s auch.
Nach 18 h gehen und stehen in der Kälte, in einem geheizten Auto zu sitzen und die Augen schließen zu können war einfach herrlich. Danke liebes Christkind.
Die Fakten
Ausgangspunkt: Parkplatz Gollinger Wasserfall http://maps.google.com/
Ziel: Hoher Göll
Endziel: Auto vom Rudi auf der Rossfeldstraße
Schwierigkeit: I-II
Ausrüstung zum Vergnügen: Gratgang zwischen leicht geht sich’s leichter und leicht wird’s leichtsinnig.
Pro Person
1 Bandschlingen 1 Gurt
2 Schrauber
1 Abseilgeräte
1 Stirnlampen die was kann
1 Pickel
Steigeisen
Wechselhandschuh irgendwann wird alles nass
Für beide
50m Seil
Zur Sicherheit Kocher
Biwaksack
Erkenntnisse
– Ski machten bei unserer Routenwahl keinen Sinn, bei Abfahrt über Skitourenaufstieg möglicherweise schon
– Abstieg über Schustersteig bei Dunkelheit schwierig (Orientierung), absolute Lawinensicherheit erforderlich
– Abholservice von Rossfeldstrasse komfortabel oder Auto hinstellen
– Zeiten: inklusive Pause (ca. 40min)
. Parkplatz Gollinger Wasserfall – Hoher Göll ca. 12h
. Abstieg Hoher Göll – Rossfeldstrasse über Schustersteig bei uns 6 h (stark orientierungs- und konditionsabhängig)